Momentaufnahme aus dem Grenzbereich
22. Jan 2008
"Wenn man die Existenz und somit die Rechte eines Dorfes übergehen möchte, tut man es am einfachsten, indem man ihm keinen Namen gibt. Mir war nie bewusst welch große Rolle die Namensgebung spielen kann bis ich als Menschenrechtsbeobachterin in die Westbank kam. Man findet so gut wie keine Namensschilder für die palästinensischen Städte und Dörfer, als ob sie nicht existieren würden. Wogegen die israelischen Siedlungen, die sich wie Metastasen eines Krebses in den palästinensischen Gebieten ausbreiten, von weit her einfach zu finden sind.
Laut United Nations OCHA leben mittlerweile fast eine halbe Million Israelis in Siedlungen - nach internationalem Recht illegal - auf der palästinensischen Seite der grünen Linie. Teilweise befinden sich diese Siedlungen nahe bei palästinensischen Dörfern, was fatale humanitäre Auswirkungen für die palästinensische Bevölkerung mit sich bringt: Durch die stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit können sie keiner geregelten Arbeit nachgehen, sie haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, und selbst ganz normale Besuche ins Nachbardorf werden ihnen verwehrt.
Dies ist auch bei der jüdischen Siedlung Shaare Tiqwa der Fall, welche neben dem palästinensischen Dorf Azzoun Atma liegt. Azzoun Atma ist ein Dorf in der sogenannten Seamzone. So wird der Landstrich zwischen der grünen Linie und der von Israel errichteten Mauer genannt. Ihr Verlauf gilt völkerrechtlich als illegal, da de facto Land annektiert wird. Der Begriff Recht scheint hier eine andere Bedeutung zu haben, als die, die mir bisher bekannt war. Was für den israelischen Bürger gilt, gilt für den Palästinenser noch lange nicht. Das gilt fast für alle Bereiche ihres Lebens. Sowohl im zivilrechtlichen Bereich als auch im Strafrecht. Nur Palästinenserinnen und Palästinenser mit einer ID auf der erkenntlich ist, dass sie im Dorf wohnen, oder mit einer speziellen Genehmigung, dürfen in das Dorf Azzun Atma rein. Das heißt Besuche von Verwandten, welche außerhalb des Dorfes wohnen, sind nicht möglich.
Der Checkpoint ist für Notfälle theoretisch 24 Stunden geöffnet, doch die Realität sieht leider anders aus: In den letzten zwei Monaten starb eine Person an Blutverlust, da die Ambulanz am Checkpoint aufgehalten wurde. Außerdem musste eine Frau ihr Kind am Checkpoint zur Welt bringen, da sie keine Genehmigung hatte um das Dorf zu verlassen. Solche Geschichten gibt es fast täglich aus den palästinensischen Gebieten zu berichten.
Am Checkpoint entlang verläuft eine Straße, die nur vom Militär und israelischen Siedlern befahren werden darf. Den Palästinenserinnen und Palästinenser wird dieses Recht verwehrt. Nicht nur bei Azzun Atma müssen sie auf schlechtere Straßen ausweichen und längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Die Westbank wird mittlerweile von einem über 400km langen Straßensystem durchzogen, welches den Israelis vorbehalten ist.
Habt ihr das Recht das Dorf zu besuchen? werden wir bei unserem letzten Besuch in Azzoun Atma von den israelischen Soldaten gefragt, die am Checkpoint stehen und jeden kontrollieren, der ins Dorf ein und ausgeht. Nach längerer Kontrolle stellt der Soldat fest, dass wir auf keiner offiziellen Liste stehen, wie z.B. das Rote Kreuz, und er erkundigt sich über Funk bei seinem Vorgesetzten, ob wir auch tatsächlich das Dorf besuchen dürfen.
Nach 20 min. Warten bekommen wir endlich die Erlaubnis nach Azzoun Atma zu gehen. Die Nähe der israelischen Siedlung Shaare Tiqwa zu Azzoun Atma hinterlässt uns bei näherer Betrachtung sprachlos. Das einzige was die Siedlung vom Dorf trennt ist ein Zaun. Die Menschen leben ganz dicht nebeneinander und bewegen sich doch in unterschiedlichen Welten. Der Zaun scheint nicht überbrückbar zu sein, denn beide Seiten wissen nichts vom Anderen, vom Nachbarn.
Im Dorf werden wir, wie in jedem anderen palästinensischen Dorf, von den Dorfbewohnern begrüßt zu unserer Überraschung, meist auf Hebräisch. Man hält uns für Juden und doch begrüßt man uns mit einer Freundlichkeit, wie man sie eigentlich nur bei Bekannten findet. Etwa an jedem fünften Haus an dem wir vorbei gehen, stehen Menschen die versuchen uns zu Kaffee einzuladen. Es tut gut, solch eine Herzlichkeit vorzufinden in einer so befremdenden Umgebung. Mir wird noch einmal klar, dass Gastfreundschaft ein wichtiger Bestandteil der palästinensischen Gesellschaft ist. Die Gastfreundschaft und Geselligkeit der Menschen ist ein Teil ihrer Lebenskunst sich kleine Lebensoasen inmitten einer feindlichen Umgebung aufrechtzuerhalten.
Jayouss, 18. Januar 2008, Tzegha Kibrom
Ich arbeite für die Deutsche Sektion von pax christi als Ökumenische Beobachterin für den Weltkirchenrat und sein Ökumenisches Friedensprogramm in Palästina und Israel. Die hier wiedergegebene Meinung ist meine eigene und gibt nicht unbedingt die von pax christi oder dem Weltrat der Kirchen wieder.